Alles was mich bewegt

Gedichte die das Leben Schrieb von mir und Freunden. Alles was mich bewegte, schrieb ich einmal nieder

Saturday, November 04, 2006

Die Frau aus dem Regenbogen ...


Die Frau aus dem Regenbogen ...
von Heinz Körner

Es war einmal ein Mann, der in seiner Jugend etwas sehr Seltsames erlebt
hatte. Niemals hatte er darüber gesprochen, niemandem davon erzählt. Doch
immer hatte er dieses Erlebnis in sich getragen und keinen einzigen
Augenblick davon vergessen.
An diesem lauen Sommerabend saß dieser Mann mit seinem Sohn unter einem
Baum, um sich ein wenig auszuruhen. Und an diesem Abend begann er zu
erzählen, gerade als die Sonne sich verabschiedete, und die Nacht sanft und
warm den Alten und seinen Sohn in ihre Arme nahm: "Unter diesem Baum, mein
Junge, da bin ich vor vielen, vielen Jahren gesessen, als mir damals etwas
Unerklärliches und Geheimnisvolles geschah."
Sein Sohn blickte ihn erstaunt an. Nie war sein Vater ein großer
Erzähler gewesen. Doch nun fuhr er fort: " Es war so ein warmer Sommertag
wie heute. Ich war noch jung, etwa in deinem Alter. Ich suchte ein wenig
Ruhe und ging spazieren, als mich plötzlich ein Regen überraschte, einer von
diesen kurzen, aber heftigen Sommerregen. Unter diesem Baum fand ich damals
Schutz. Und nach dem Regen blieb ich noch ein wenig sitzen, um mich von der
Sonne wieder wärmen und trocknen zu lassen."
Er atmete tief durch, schwieg eine Weile und blickte seinem Sohn
forschend in die Augen. Dieser erwiederte den Blick seines Vaters offen und
aufmerksam und wartete. "Ja", sprach der Alte weiter, "dann geschah es. Ich
weiß nicht, ob ich eingeschlafen war oder was auch immer geschehen sein mag,
jedenfalls schreckte ich plötzlich auf. Ein unglaublich schöner Regenbogen
überspannte den ganzen Himmel. Doch seltsam: Das Ende dieses Regenbogens
schien nur wenige Schritte von mir entfernt zu sein. Ich war verwirrt und
wußte nicht, wie mir geschah. Da trat plötzlich aus dem Rausch der Farben
eine Frau auf mich zu."
Sein Sohn runzelte ein wenig die Stirn. Der Alte nahm dies wohl wahr,
redete aber einfach weiter: "Ich weiß, daß das verrückt klingt. Aber glaub
mir: Genauso ist es damals geschehen."
Noch einmal holte er tief Luft. "Diese Frau war wie ein Traum. Sie war
alles, was sich ein Mann bei einer Frau nur wünschen kann. Ich meine nicht
nur Äußerlichkeiten. Obwohl ich sie ja nie zuvor gesehen hatte, wußte ich
das alles sofort. Wirklich seltsam ..." Er schüttelte den Kopf. "Nun ja, wie
dem auch sei", nahm er den Faden wieder auf, "diese Frau aus dem Regenbogen
setzte sich neben mich und sprach mit mir. Um ehrlich zu sein: Ich sprach
mit ihr. Sie selbst sagte eigentlich nur drei Sätze. Vielleicht war es die
Aufregung, vielleicht meine Unsicherheit, wer weiß? Ich redete von mir und
meinen Träumen, von meinen Sorgen und Nöten, von allem Möglichen. Später
schämte ich mich, weil ich wie ein Wasserfall geredet hatte. Doch ich
glaube, sie hat es verstanden. Wohl niemals in meinem Leben habe ich so viel
und so lange geredet wie damals."
Sein Sohn blickt ihn liebevoll an, fühlte sich seinem Vater auf einmal
sehr nahe und hätte ihn am liebsten in den Arm genommen. Doch er tat es
nicht, sondern fragte: "Diese drei Sätze, Vater, erinnerst du dich noch an
sie?"
"Aber sicher", nickte der Vater, "ich habe sie nie vergessen. Es waren
eigentartige Sätze. Einer lautete: Es liegt in deiner Hand, du bestimmst
dein Leben, auch wenn es nicht immer so scheint." Nachdenklich blickte er
vor sich hin und schwieg.
"Und die anderen Sätze?" fragte sein Sohn weiter.
"Ach ja!" Der Alte schien aus einem Traum zu erwachen, und es war, als
müsse er erst wieder zu sich finden. Doch dann sprach er weiter. "Der zweite
Satz war: Versuche die Menschen zu lieben, auch wenn sie es dir nicht leicht
machen werden. Immer habe ich im Grunde versucht, auch so zu leben, obwohl
ich fürchte, daß ich viel zu selten geliebt habe."
Wieder lächelte der Sohn, und dieses Mal war er es, der eine Weile
nachdenklich vor sich hinblickte.
"Der dritte Satz", fuhr sein Vater fort, "war der seltsamste. Ich habe
ihn wohl nie ganz begriffen: Laß es so geschehen, wie es ist, auch wenn du
manchmal lieber gegen vieles kämpfen möchtest." Er schwieg, und es schien,
als habe er die Erzählung beendet.
Gedankenverloren folgte der Blick seines Sohnes einem welken Blatt, das
im leichten Sommerwind zur Erde schwebte. Schließlich sagt er: " Es lohnt
sich, über alle drei Sätze nachzudenken und zu reden, Vater. Mir scheint, du
hast sie meistens nur mit dir herumgetragen und nur wenig davon verstanden,
wenn ich dich und dein Leben so betrachte."
Sein Vater blickte ihm aufmerksam ins Gesicht. "Da magst du vielleicht
recht haben", sagte er traurig und fuhr fort: "Weißt du, je älter ich wurde,
desto mehr habe ich das auch gefühlt. Doch denke ich, daß nicht jeder dieser
drei Sätze so stimmen muß. Man kann darüber auch streiten - obwohl ich es
manchmal, tief in mir, anders fühle. Und heute ist es für vieles zu spät,
mein Sohn."
"ich weiß nicht Vater", sagte der junge Mann. "Oft ist es nur eine
Ausrede, wenn jemand so etwas sagt. Aber wie ging denn die Geschichte mit
dieser Frau weiter?"
Jetzt war es der Vater, der seinen Sohn liebevoll anblickte und am
liebsten in die Arme genommen hätte. Auch er erzählte statt dessen weiter: "
Es war damals sehr spät geworden über meinem vielen Gerede und bereits
dunkel, als ich auf einmal nichts mehr zu reden wußte. Da setzte sich diese
Frau zu mir und nahm mich in ihr Arme." Der Alte lächelte und seufzte tief.
"Und dann war sie sehr zärtlich zu mir. Ich glaube, sie brachte mir die
Liebe bei, wie man das zu nennen pflegt. Nie wieder habe ich solch eine Frau
erlebt."
"Du meinst die körperliche Liebe?" wollte sein Sohn wissen.
Der Vater nickte. "Ja und nein" Es war mehr als körperliche Liebe, da
war so vieles." Wieder schwieg er eine Weile, bevor er stockend
weitererzählte: " Es ist einfach nicht in Worte zu fassen, was da geschah.
Weißt Du, es war, als würde ich plötzlich losfliegen, mitten in den
Sternenhimmel über uns. Der Mond hob mich empor und nahm mich in sich auf.
Und die Sonne gab mir Kraft und zündete etwas in mir an, obwohl sie nicht
einmal zu sehen war. Und die Sterne tanzten um mich, und ich flog mitten ins
All, ins Herz aller Dinge. Und ich fühlte und erlebte, was ich einfach nicht
beschreiben kann. Die Zeit stand still, und dann raste sie wieder an mir
vorbei. Mein Körper schien auseinander zu brechen, und doch fühlte ich mich
so fest und sicher in mir wie nie zuvor. Manchmal dachte ich, vor lauter
wilder Leidenschaft irre zu werden, und doch war es in mir unglaublich still
und friedlich." Er schüttelte den Kopf. "Ach, es ist einfach unbeschreiblich
gewesen, im wahrsten Sinne des Wortes, was diese Frau damals mit mir gemacht
hat."
Vater und Sohn blickten sich lange an. Dann sagte der Sohn: "Es war ja
nicht nur die Frau, die etwas gemacht hat. Du hast ja auch dazu beigetragen,
oder nicht?"
Sie saßen eine ganze Zeit schweigend beieinander. Es war still unter dem
Baum und in die Nacht, und ein klarer, wunderschöner Sternenhimmel tat sich
über ihnen auf.Die beiden Männer hingen ihren Gedanken nach, jeder seinen
und doch den gleichen. Irgendwann räusperte sich der Sohn und fragte: "Und
was geschah dann noch weiter, Vater?"
Sein Vater hob den Kopf, und wieder schien es, als wäre er eben erst aus
einer anderen Welt zurückgekehrt. Schließlich antwortete er: "Eigentlich
nichts Besonderes. Irgendwann in der Nacht bin ich damals zu mir gekommen.
Es hat lange gedauert, bis ich mich und meinen Verstand wieder beisammen
hatte. Die Frau war verschwunden und ich habe sie bis heute niemals wieder
gesehen". Auf einmal schien er dem Weinen nahe. "Weißt Du, mein Junge, ich
habe sie immer gesucht. Hier unter diesem Baum, in jedem Regenbogen und in
jeder Frau. Aber ich habe sie nie gefunden. Keine Frau war so wie sie, keine
hat mir so zugehört, mir solche Sätze gesagt, mich in solche Leidenschaft
versetzt. Und glaub' mir, ich habe viele Frauen gekannt. Auch deine Mutter,
die ich wirklich sehr gern habe, auch sie ist nicht wie diese Frau." Seine
Stimme wurde leiser. "Die Frau aus dem Regenbogen...", lachte er vor sich
hin, "ich weiß nicht einmal ihren Namen. Und nie habe ich so richtig
begriffen, was sie mir sagen wollte. Vielleicht habe ich deshalb mein ganzes
Leben lang im Grund nur nach ihr gesucht."
Sein Sohn blickte ihn voller Wärme an. "Ich weiß nicht, Vater", sagte
er. "Vielleicht?" Er dachte nach, rang nach Worten und fuhr schließlich
fort: "Ich glaube, sie hat dir etwas Großes geschenkt: Liebe aus Leib und
Seele." Er atmete tief die kühler werdende Nachtluft ein. "Ja, und du hast
dieses Geschenk nicht weitergegeben, sondern dein Leben lang immer mehr
davon gesucht, überall und jederzeit hast du noch mehr von dieser Liebe
gesucht."
Er erhob sich und streckte sich ausgiebig. "Wie wohl jeder Mensch",
sagte er dann weiter, "wir suchen alle nach Liebe, in jeder Frau und in
jedem Mann, auch ich. Und dabei vergessen wir das Wichtigste."
Der Vater blickte zu seinem Sohn auf, Tränen in den Augen, fassungslos,
und murmelte: "Du hast sie verstanden." Und noch einmal: "Ja, du hast sie
verstanden." Und dann sagte er, noch immer unter dem Baum sitzend und zu
seinem Sohn aufblickend: "Ich glaube, jetzt fange auch ich an zu verstehen.
Komm, mein Junge, hilf deinem Vater nun auch noch beim Aufstehen."
Der junge Mann half seinem Vater, und schweigend machten sie sich auf
den Heimweg in dieser kühler werdenden Sommernacht. Auf einmal raschelten in
dem Baum die Blätter, und der Mond schien durch die Äste genau dorthin, wo
die beiden Männer gesessen waren.
Weder Vater noch Sohn sprachen noch einmal über die Frau aus dem
Regenbogen - aber etwas war zwischen ihnen geschehen, was unauslöschlich
war. Beide hatten sich verändert. Auch die Fau des alten Mannes spürte das.
Doch erfuhr sie niemals von dem Erlebnis ihre Mannes und von dem Gespräch
zwischen Vater und Sohn.

Als der Sommer zur Neige ging, machte der Alte, wie so oft, einen
Spaziergang am Nachmittag. Es war warm und roch nach Herbst, und etwas
Eigenartiges lag in der Luft. Später regnete es kurz und heftig, und danach
verzauberte ein unglaublich schöner Regenbogen den Himmel. Der junge Mann
zeigte ihn seiner Mutter und dachte insgeheim an seinen Vater. Still
lächelte er vor sich hin und verstand auf einmal noch mehr von der Suche
seines Vaters. Wieviel Farben, so fragte er sich in diesem seltsamen
Augenblick, wieviel Farben mag wohl die Sehnsucht haben?
Mitten in der Nacht wurde er von seiner Mutter geweckt. Voller Sorge bat
sie ihn, nach dem Vater zu suchen, weil er von seinem Spaziergang nicht
heimgekehrt war. Sofort machte er sich auf den Weg.
Aus irgendeinem Grund wußte er, wo er seinen Vater finden würde. Und da
war er dann auch. Still und friedlich lag er unter seinem Baum, ein
glückliches Lächeln im Gesicht.
Der Sohn begriff sofort. Er nahm den alten Mann in die Arme und drückte
ihn liebevoll an sich. Und während er bitterlich weinend mit seinem toten
Vater in den Armen unter diesem Baum saß, rauschte es wieder in den
Blättern, und der Mond warf ein mildes Licht auf die beiden.
Da huschte ein Lächeln über das tränenüberströmte Gesicht des jungen
Mannes, und er flüsterte seinem Vater ins Ohr. "Du weißt es nun, nicht wahr?
Sie hat es dir gesagt."
Er drückte ihn ein letztes Mal an sich und war sicher, daß sein Vater
die Frau aus dem Regenbogen noch einmal gesehen hatte.

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